Die geheime Affäre des MI6 in der Schweiz

Die geheime Affäre des MI6 in der Schweiz

Von Kit Klarenberg

Am 25. Januar wurde der prominente palästinensisch-amerikanische Journalist und Aktivist Ali Abunimah, der Electronic Intifada mitbegründete, auf dem Weg zu einer Rede in der Schweiz von verdeckten Behörden festgenommen. Während er drei Tage und Nächte im Gefängnis verbrachte, hatte er keinen Zugang zu einem Anwalt und war völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Zudem wurde er von örtlichen Geheimdienstmitarbeitern verhört, ohne dass ihm erklärt wurde, aus welchem Grund er inhaftiert wurde. Letztendlich wurde Abunimah wie ein gewalttätiger Verbrecher abgeschoben.

Diese offensichtliche politische Verfolgung Abunimahs sorgte für weltweite Empörung, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Schweiz als ältester „neutraler“ Staat gilt. Bern hat an dieser Neutralität so festgehalten, dass es sich zunächst weigerte, der UNO beizutreten – aus Angst, die eigene Neutralität zu gefährden. Erst im September 2022 fand ein Beitritt nach einem öffentlichen Referendum statt. Des Weiteren belegt das Land regelmäßig vordere Plätze in internationalen Menschenrechtsrankings und ist bekannt dafür, ausländischen Journalisten und Aktivisten, die vor Verfolgung fliehen, Schutz zu bieten.

Die Behandlung Abunimahs steht im krassen Widerspruch zur schweizerischen Neutralität. Ähnliches gilt für die geheime Rolle des Landes in der Operation Gladio, einem schrecklichen Kaltkriegskomplott, bei dem die CIA und der MI6 faschistische Paramilitärs aufbauten, um in ganz Europa Chaos zu stiften. Diese Aktionen, die einem massiven Täuschungsmanöver dienten, wurden unter falscher Flagge durchgeführt und verwendeten Terroranschläge sowie andere Gewalttaten, um die Linke zu diskreditieren und brutale Maßnahmen gegen Andersdenkende zu legitimieren.

Die Schweizer Komponente dieser Operation war unter dem Namen Projekt-26 bekannt, was sich auf die Kantone des Landes bezog. Ihre Existenz wurde im November 1990 bei einer unabhängigen Untersuchung des Schweizer Parlaments offengelegt. Diese Untersuchung war eingeleitet worden, nachdem bekannt geworden war, dass lokale Sicherheitsdienste während des Kalten Krieges umfassende Geheimakten über rund 900.000 Bürger des Landes angelegt hatten.

Die Ergebnisse der Untersuchung ergaben, dass die P-26 über einen langen Zeitraum „außerhalb der politischen Kontrolle“ operierte und sich auf „innere Subversion“ konzentrierte. Mit etwa 400 Mitgliedern, von denen die meisten als „Experten“ für verschiedene militärische und psychologische Kriegsführungsmethoden galten, führte die Einheit zahlreiche geheime Operationen durch und unterhielt ein Netzwerk von geheimen Anlagen in der gesamten Schweiz. Sie wurde von einem Privatmann geleitet, der in der Lage war, ohne Rücksprache mit der Regierung oder der Armee tätig zu werden. Es wurde zudem festgestellt, dass die P-26 mit einem „nicht identifizierten NATO-Land“ kooperierte.

Es brauchte einige Zeit, um festzustellen, dass es sich bei diesem NATO-Partner um Großbritannien handelte. Nachfolgende Untersuchungen brachten Licht in Londons dunkle Verstrickungen mit der P-26 sowie deren Rolle in der Operation Gladio. Über die genauen Aktivitäten dieser Einheit gibt es noch viele unbekannte Faktoren, die vermutlich nie ans Licht kommen werden. Trotz der offiziellen Auflösung der P-26 nach ihrer Entdeckung legt der jüngste Fall um Ali Abunimah die Vermutung nahe, dass der MI6 nach wie vor Einfluss auf die Politik und die Sicherheitsstrukturen in der Schweiz ausübt.

Die Aufdeckung der P-26 führte zu einer vertieften Untersuchung des schweizerischen „Stay behind“-Netzwerks, unter der Leitung des Richters Pierre Cornu. Eine abgeschwächte Fassung seines 100-seitigen Berichts wurde erst im April 2018 veröffentlicht, wobei es bis heute keine englische Übersetzung gibt. Wichtige Abschnitte, insbesondere die über die Beziehungen von P-26 zum US- und britischen Geheimdienst, blieben vollständig geschwärzt. Der Bericht bestätigte jedoch, dass die Mitglieder der Einheit in Großbritannien – dem geheimen Zentrum von Gladio – ausgebildet wurden und regelmäßigen, geheimen Kontakt zur britischen Botschaft in Bern hatten.

Seltsamerweise war eine Zusammenfassung von Cornus Bericht, die im September 1991 veröffentlicht wurde, erheblich aufschlussreicher. Darin wurde formuliert, dass der britische Geheimdienst eine enge Zusammenarbeit mit P-26 pflegte und deren Mitglieder regelmäßig in verschiedenen militärischen Techniken schulte. Diese Kooperation wurde als „intensiv“ beschrieben, aber auch als rechtlich und politisch höchst fragwürdig, da sie jeglicher demokratischer Kontrolle entzogen war. Vor der Entdeckung der P-26 waren gewählte Schweizer Beamte anscheinend vollkommen unwissend über die Existenz und den Betrieb dieser Einheit.

Die P-26 erhielt darüber hinaus Unterstützung von der P-27, einer privat finanzierten Spionageagentur, die mit Hilfe ausländischer Sponsoren arbeitete und die von einer elitäreren Einheit des Schweizer Militärgeheimdienstes unterstützt wurde. Diese war für die Überwachung und Aktenführung über „verdächtige Personen“ zuständig, darunter politische Gegner und Aktivisten. Der Zweck dieser Informationen bleibt unklar, und viele Dokumente, die die Aktivitäten der P-26 und deren Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst darlegen, sind nicht aufgefunden worden.

Zur weiteren Verschleierung der Angelegenheit stellte man im Februar 2018 fest, dass 27 Dossiers aus der Untersuchung von Cornu verschwunden waren. Dies nährt Spekulationen darüber, ob diese Dokumente absichtlich vernichtet wurden, um peinliche Informationen über die Beziehungen der Schweiz zu US-amerikanischen und britischen Geheimdiensten zu geheim zu halten. Josef Lang, ein ehemaliger linksgerichteter Schweizer Abgeordneter, äußerte dazu Bedenken und erklärte, es bleibe ungewiss, ob die Dokumente geschreddert oder versteckt wurden – was selbst im harmlosesten Fall einen Skandal darstellt.

Der ungeklärte Mord an Herbert Alboth untermauert diese Befürchtungen zusätzlich. Alboth, ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter, der in den 1970er Jahren die „Stay Behind“-Einheit leitete, wandte sich heimlich an den Verteidigungsminister, um Versprechungen über Enthüllungen über die P-26 zu machen. Er wurde jedoch einen Monat später tot in seiner Wohnung aufgefunden – die Umstände seines Todes blieben mysteriös.

Einen Tag nach der offiziellen Auflösung der P-26 verabschiedete das Europäische Parlament eine Entschließung zur Operation Gladio, in der an alle Mitgliedstaaten appelliert wurde, Untersuchungen über die geheimen Aktivitäten der Organisationen durchzuführen. Geheime Netzwerke operieren oft ohne rechtliche Aufsicht und könnten sich in die inneren politischen Angelegenheiten der Staaten einmischen.

Nie zu einem klaren Ergebnis gekommen, bleibt die Frage, ob die europäischen „Stay-Behind“-Armeen tatsächlich demobilisiert wurden. Zudem könnte der britische Geheimdienst noch immer aktiv in die Aktivitäten ausländischer Sicherheits- und Spionagedienste eingreifen. Angesichts der kritischen Rolle des Vereinigten Königreichs im Konflikt um Palästina und der Verfolgung von Solidaritätsbewegungen erscheint Ali Abunimah als ein offensichtliches Ziel für die Agenten des MI6.

In einer parallelen Entwicklung wurde Ende 2024 der unabhängige Journalist Richard Medhurst, der in Wien lebt, am Londoner Flughafen verhaftet und war Ziel von Ermittlungen in Österreich. Dies deutet auf die anhaltenden Verstrickungen des MI6 in Länder, die eine neutralitätsfreundliche Haltung einnehmen, wie Österreich, hin.

Die Angelegenheit wirft viele Fragen und Verdachtsmomente auf, welche die Geheimoperationen in der Schweiz und darüber hinaus betreffen.

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