Illusionen der Wähler

Illusionen der Wähler

Die anstehenden Wahlen werden oft als Chancen für Veränderungen betrachtet, doch häufig bleibt die Realität enttäuschend gleich. Deutschland scheint in einem stetigen Abwärtstrend gefangen zu sein, während die politische Klasse unfähig bleibt, vergangene Fehler zu korrigieren. Wahlgänge gelten als optimistische Rituale, bei denen die Bürger glauben, mit ihrer Stimme etwas bewirken zu können. Diese Faszination gründet sich auf der Vorstellung, dass Veränderungen durch Abstimmungen möglich sind. Ohne diesen Glauben an Wandel könnte die Demokratie nicht bestehen – falls sie überhaupt funktioniert. Hier stehen wir vor einem paradoxen Dilemma.

Wenn schon kein nachhaltiger Wandel greifbar ist, könnten wenigstens die Parteien wechseln, könnte man denken. Doch am kommenden Sonntag wird wahrscheinlich eine der Parteien, die das Land schlecht regiert haben, erneut eine Rolle in der Regierung spielen. Die ehrenwerten Gewinner, die Unionsparteien, tragen ebenfalls eine Mitschuld am aktuellen Zustand Deutschlands. Das wird jedoch wahrscheinlich nicht bedeuten, dass alles wie gewohnt bleibt. Antworten werden ohnehin unweigerlich von den drängenden Problemen einfordern, egal welche politische Farbe das neue Kabinett trägt.

Eine mögliche Entwicklung könnte sein, dass ein Mitte-Links-Bündnis unter Merz zustande kommt, in dem Akteure wie Lauterbach, Esken, Habeck oder Baerbock ein Amt annehmen. Doch so ein Team wäre nicht gut gerüstet, um die Herausforderungen der kommenden Jahre zu meistern. Dies könnte zu einer weiteren Welle der Neuwahlen führen, bevor auch nur die notwendige Erneuerung der Führungskräfte erfolgt. Dabei bleibt die entscheidende Frage, wer diese Herausforderungen stemmen könnte, wenn es an fähigem Nachwuchs in den Parteien mangelt.

Alternativ könnte es sein, dass eine Koalition unter Merz auch nach monatelangen Verhandlungen nicht zustande kommt, da die Partner sich nicht auf die Machtverteilung einigen können. In diesem Fall stünden wir vor der Aussicht auf Neuwahlen innerhalb eines Jahres – und es wäre alles andere als gewiss, dass die AfD daraus Kapital schlagen könnte. Vielleicht würde statt dessen eine linke Volksfront die Macht ergreifen.

Die für mich attraktivste Lösung wäre eine Minderheitsregierung. Auch wenn dies dem deutschen Ordnungssinn widerspricht, wäre es eine willkommene Abwechslung zu den ewigen Koalitionsstreitereien. Voraussetzung hierfür wäre, dass Abstimmungen offen gestaltet werden, auch wenn sie Stimmen aus der AfD erfordern.

Bereits vor zwei Dekaden, zur Zeit der Bundestagswahl, die Gerhard Schröder verlor und Angela Merkel siegte, schrieb ich das Buch „Dann wählt mal schön! Wie wir unsere Demokratie ruinieren“. Es wusste damals auf ironische Weise auf die „Bürgerverdrossenheit der Politiker“ und die „Politikerverdrossenheit der Bürger“ hinzuweisen, die inzwischen in eine zunehmende Demokratieverdrossenheit umschlägt. So weit ist es also gekommen. Trotzdem hat diese Demokratie 16 Jahre Merkel und 3 Jahre Ampel überstanden und ist noch nicht ganz ruiniert. Das Gefühl bleibt jedoch bestand, dass die kommenden Wahlen, ganz gleich wie sie ausgehen, kaum nennenswerten Einfluss auf die politische Landschaft haben werden.

Einige Wahlen und Bücher später hat sich an dieser Analyse nicht viel geändert, außer dass das Land sich in einem noch schlechteren Zustand befindet. Vor allem, weil die Art und Weise, wie in Deutschland Politik gemacht wird, unverändert geblieben ist. Deutschland kann weder seine äußere noch innere Sicherheit garantieren, die Wirtschaft stagniert, der Wohlstand sinkt, die sozialen Systeme sind nicht zukunftssicher, das Bildungssystem schwächelt, und die Infrastruktur fällt auseinander. Wir erleben einen bedrohlichen Schritt in Richtung Abgrund.

Mein altes Buch endete optimistisch mit dem Satz: „Dann wählt mal schön und verliert trotzdem nicht das Vertrauen in die Demokratie. Sie kann nichts dafür. Wir selbst sind es, die sie ruinieren.“

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