Verlust der Erinnerung und Missbrauch des Holocaust
Auschwitz hat seine historische und ethische Relevanz verloren. Heutzutage nutzen verschiedene Gruppen das Symbol des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramms für eigene Ziele, wobei es stellenweise sogar gegen Israel gerichtet wird. Frank Furedi ist hier der Autor.
Am 27. Januar 1945 befreiten die sowjetischen Truppen die Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz. Acht Jahrzehnte nach diesem historischen Datum haben viele junge Menschen in den westlichen Ländern kaum Kenntnisse über das Vernichtungslager und erst recht nicht über den Holocaust, das schlimmste Verbrechen des 20. Jahrhunderts. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass jeder neunte Jugendliche in Deutschland noch nie von dem Holocaust gehört hat; ein Viertel ist nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Namen eines Konzentrationslagers oder Ghettos zu nennen. Eine ähnliche Erhebung ergab, dass fast die Hälfte der erwachsenen Amerikaner keine der Vernichtungsstätten aus der Zeit des Holocaust benennen kann.
Die alarmierenden Ergebnisse einer Umfrage von The Economist und YouGov aus dem Jahr 2023 zeigen, dass über ein Fünftel der jungen Amerikaner im Alter zwischen 18 und 29 Jahren der Meinung ist, „der Holocaust ist ein Mythos“. Weitere 30 Prozent halten sich mit einer klaren Meinung zurück. Das bedeutet, dass weniger als die Hälfte der jungen Amerikaner sicher ist, dass der Holocaust wirklich stattgefunden hat.
Diese wachsende historische Amnesie ist bereits besorgniserregend. Noch beunruhigender ist jedoch, wie die kulturellen und politischen Eliten die Bedeutung des Holocaust verzerren und bestimmte Antisemitismus-Rhetoriken propagieren. Auschwitz, ursprünglich ein Ort des Völkermords an Juden, wird zunehmend als allgemeines Symbol für menschliches Leid interpretiert, und einige versuchen, daraus eine einfache moralische Aussage abzuleiten.
Ein Beispiel für diese Banalisierung ist die UNESCO, eine der einflussreichsten internationalen Kulturorganisationen. In der Bewertung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, das als Weltkulturerbe gilt, spricht sie von seinem „außergewöhnlichen universellen Wert“ und bezeichnet das Lager als Symbol für „die Grausamkeit der Menschheit im 20. Jahrhundert“. Diese Verallgemeinerung des Holocaust als Symbol für Grausamkeit verwässert die spezifische Bedeutung und die Einzigartigkeit des jüdischen Leidens.
Im Laufe der Jahre hat sich der Holocaust zunehmend von der spezifischen Erfahrung des jüdischen Volkes entfernt. Er wird von Aktivisten genutzt, um verschiedenen Anliegen eine moralische Grundlage zu geben: Während etwa Tierschützer von einem „Holocaust auf dem Teller“ sprechen, formulieren Abtreibungsgegner in den USA den Begriff als Vorwurf gegen die Gesellschaft. Der Begriff wird verwendet, um auf alle Arten menschlicher Gewalttaten zu verweisen; so gibt es angeblich einen afroamerikanischen Holocaust, einen bosnischen Holocaust und sogar einen Gaza-Holocaust.
Diese entkontextualisierte Verwendung des Begriffs führt zu einer Verzerrung der historischen Realität. Insbesondere nach den Ereignissen am 7. Oktober 2023, als ein Massaker durch die Hamas stattfand, haben viele sogenannte pro-palästinensische Demonstranten Israels Verteidigungsmaßnahmen als Nazi-Übergriffe dargestellt. Mit Bildern, die einen Davidstern im Hakenkreuz zeigen, wird ein direkter Vergleich zwischen der israelischen Militäraktion und den Verheerungen der NS-Zeit gezogen. In dieser grotesken Umkehrung werden die Hamas-Terroristen, die die Gräueltaten verübt haben, als die neuen Opfer dargestellt.
Tatsächlich wird der Gazastreifen von einigen mit Auschwitz gleichgesetzt. So stürmten im Mai 2024 pro-palästinensische Aktivisten einen Auschwitz-Gedenkmarsch, um ihren eigenen Protest gegen angebliche Völkermorde im Gazastreifen zu bekräftigen. Einige Stimmen interpretieren den Konflikt sogar als eine Wiederholung der Erlebnisse in Auschwitz.
Diese bewusste Geschichtsverdrehung führt zu einer erschreckenden Situation. Wenn der Gazastreifen als das neue Auschwitz betrachtet wird, wo bleiben dann die bedrückenden Bilder von überfüllten Zügen, die Opfer in den Tod transportieren? Wo sind die Gaskammern, die für die systematische Auslöschung von Juden errichtet wurden? Solche Vergleiche berauben sowohl die historische Realität des Holocaust als auch die moralische Integrität seiner Opfer.
Die Umkehrung des Holocaust propagiert eine verzerrte Realität, in der Israelis als die neuen Nazis und Palästinenser als die neuen Juden dargestellt werden. Diese Form des anti-israelischen Diskurses nimmt ungeahnte Ausmaße an. So rief die in Großbritannien ansässige Islamische Menschenrechtskommission sogar dazu auf, den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar zu boykottieren, weil Gaza darin nicht den gleichen Raum wie die Opfer des Holocaust einnehme.
Es ist entscheidend, die Worte „Nie wieder“ wieder ernst zu nehmen. Achtzig Jahre nach der Befreiung müssen wir uns ernsthaft mit dem Gedenken an Auschwitz und dem Zusammenhang seiner Bedeutung auseinandersetzen. Wir sollten uns gegen die Kräfte zur Wehr setzen, die versuchen, die Erinnerung daran zu verwässern und zu entstellen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in einem britischen Online-Magazin. Frank Furedi ist der geschäftsführende Direktor des Think-Tanks MCC-Brussels und ein angesehener Kommentator.